Erst glaubte ich zu wissen, was er ist, dann stellte ich fest, dass ich keine Ahnung gehabt hatte, und heute entdecke ich regelmäßig neue Details an ihm. Er ist so spannend und so lösend - der innere Schenkel. Man könnte ein ganzes Buch darüber schreiben. Vorerst werde ich mich aber mit einem Blogartikel zu diesem Thema begnügen ;-)
Jede Hilfe, die die Funktion eines inneren Schenkels beim Reiten in der Bodenarbeit, in der Handarbeit, an der Longe oder am langen Zügel ersetzen soll, bezeichne ich als inneren Schenkel. Es gibt also sehr unterschiedliche Arbeitssituationen in denen Du feststellen kannst, dass Dein Pferd Schwierigkeiten mit dem Verständnis dieser Hilfe hat. Im diesem Artikel werde ich darauf eingehen, wie Du überprüfen kannst, ob Dein Pferd diese Hilfe richtig verstanden hat und wie ich das Verständnis für diese Hilfe in der Bodenarbeit ausbilde.
richtig verstanden? Überprüfe es selbst
Entsprechend der Akademischen Ausbildungsleiter nenne ich als Beispiel eine ganz grundlegende Situation in der Bodenarbeit: ich gehe rückwärts vor dem Pferd auf einer Zirkellinie. Mein Ziel: das Pferd soll auf dem gleichen Hufschlag gehen wie ich und sie entsprechend der Zirkellinie biegen. Wenn ich dabei die Gerte in die innere Schenkellage lege (oder darauf zeige), bekomme ich in den meisten Fällen eine dieser drei Reaktionen:
1. Das Pferd macht sich hohl um den „inneren Schenkel“, wird noch etwas leichter in der äußeren Schulter und sucht klar mit seiner Nase in Richtung meiner Körperachse. Dieses Pferd hat den inneren Schenkel richtig verstanden.
2. Das Pferd weicht nach außen aus und geht auf einen größeren Zirkel, bzw. sogar weg, wenn ich es nicht am Halfter oder am Kappzaum bei mir festhalte. Dieses Pferd hat den inneren Schenkel falsch verstanden.
3. Das Pferd ist steif und hat Schwierigkeiten überhaupt irgendwie zu reagieren. Es kann noch nicht loslassen. Im dritten Fall braucht es viel Geduld und kleinschrittiges Vorgehen und die Fähigkeit des Menschen zu unterscheiden, ob die minimalen Reaktionen des Pferdes eher in Richtung der 1. oder der 2. Möglichkeit tendieren.
Tatsächlich gehören die meisten Pferde die am Anfang einer Akademischen Ausbildung stehen in die zweite Gruppe. Aber es sind durchaus nicht nur „Anfänger“ betroffen. Wer in der Ausbildung schon weiter fortgeschritten ist, kann sie eine Menge Aufwand und „Korrektur“ sparen, wenn er überprüft, ob das Pferd die Hilfe des „um sich herum biegenden inneren Schenkels“ richtig verstanden hat und ggf. ein paar Wochen investiert um dem Pferd diese Hilfe neu zu erklären.
Wo fange ich an? Es gibt eine Übung, die mir in den Anfängen der Ausbildung sehr wichtig ist. Mit ihrer Hilfe kann man dem Pferd ein erstes, grobes (aber nicht falsches) Verständnis dafür
vermiteln, was der Mensch wollen könnte, wenn er mit einer Hand, einer Gerte oder eben einem Schenkel seine Seite ungefähr in Höhe der Gurtlage berührt.
Der erste "innere Schenkel" - besser gleich richtig
Ich selber habe einige Jahre lang nicht richtig aufgepasst, was eigentlich genau passiert, wenn ich einen inneren Schenkel einsetze. Meine Vorstellung war nicht weit genug entwickelt, von dem was
im Pferdekörper alles passieren soll und wie ich das wahrnehmen könnte. Ich hoffe, dass ich heute einige dort abholen kann, wo ich stand, als ich feststellte, dass etwas schiefläuft. Einigen
anderen kann ich den Umweg vielleicht ersparen. Bei den meisten Pferden fange ich im Stehen an. Einige Pferde, die auf Stress beziehungsweise kleine Unsicherheiten mit "Laufen" reagieren, dürfen
aber auch Schritt gehen, wenn wir beginnen. Sobald sie anfangen mich zu verstehen und ihre Unsicherheit verlieren, können auch sie im Stehen mitmachen.
Ich befinde mich neben dem Pferd, ungefähr auf Höhe der Schulter. Blickrichtung nach vorne. Die dem Pferd zugewandte Hand hält die Schlaufen der Longe und später evtl. eine Gerte, die andere Hand
hat über die Longe Kontakt zum Kappzaum/Pferdekopf. Ich lege meine Hand in die Schenkellage. Mein Fernziel ist es, dass das Pferd auf den Kontakt mit der Hand reagiert, in dem es sich nach innen
stellt, biegt und vorwärts-abwärts streckt. Die Herausforderung auf dem Weg dahin: das richtige Timing beim Loben. Denn nur wenn wir über die Bestätigung die vielen kleinen richtigen Schritte
zeigen können, kann das Pferd verstehen, was es werden soll. "Richtig" gebogen ist nämlich leicht gesagt, aber selten gezeigt.
1. Teilziel: Das Pferd verspannt sich nicht und kann mit der Hand in der Schenkellage losgelassen weiteratmen.
2. Teilziel: Ich kann mit der Hand in der Schenkellage kleine Impulse geben und das Pferd "sucht" nach der gewünschten Reaktion.
Ich lobe, wenn das Pferd den Hals fallen lässt, das Genick nach innen stellt (ohne sich nach mir umzudrehen und Kekse zu suchen) und das Gleichgewicht NICHT auf die äußere Schulter verlagert.
Möchte ich mehr Abwärtstendenz, wandert meine Hand in der Schenkellage tiefer, möchte ich mehr laterale Biegung, setze ich sie etwas höher ein.
3. Teilziel: Ich kann die Hand im Stand UND in der Bewegung einsetzen um eine Innenstellung und ein Abwärtsstrecken enzufragen, ohne das das Pferd sein Gewicht zur äußeren Schulter verlagert.
Nächstes Ziel: Ich kann meine Hand durch die Gerte ersetzen und mich vor das Pferd stellen bzw. rückwärts vor dem Pferd hergehen und aus dieser Position mit dem "inneren Schenkel" Stellung, Biegung und Dehnen der Oberlinie im Schritt und/und oder im Stand abfragen, ohne dass das Pferd sein Gewicht auf die äußere Schulter verlagert.
Was passiert, wenn das Pferd auf dem Zirkel „richtig“ auf den inneren, biegenden Schenkel reagiert?
- Der Brustkorb rotiert außen hoch, die äußere Schulter wird entlastet und schwingt freier nach vorne.
- Das äußere Buggelenk kommt weiter vor als das innere.
- Die Vorderbeine schwingen in Zirkelrichtung unter das Maul.
- Die innere Hüfte kommt vor und runter und
- der innere Hinterfuß schwingt vorwärts unter den Bauch des Pferdes.
Was passiert stattdessen, wenn das Pferd "falsch" reagiert?
- Der Brustkorb rotiert außen runter und das Pferd schiebt sich auf die äußere Schulter bzw. darüber hinweg.
- Das äußere Buggelenk ist weiter hinten als das innere.
- Die Vorderbeine treten kurz und/oder aus dem Zirkel raus.
- Die innere Hüfte bleibt zurück und hebt sich evtl. wenn das innere Hinterbein vorgreift.
- Der innere Hinterfuß weicht dem Schwerpunkt aus oder tritt kurz.
Die Primäre Hilfe in der Bodenarbeit: nicht im Weg stehen
Wir können nicht über eine Hilfe sprechen, ohne den Kontext zu sehen. Ich kann also auch nicht von einem innere Schenkel in der Bodenarbeit sprechen, ohne über die Körpersprache zu sprechen. Mit unserem Körper stehen wir den Pferden nämlich leider allzu oft im Weg und verhindern genau das, was wir eigentlich „herauskitzeln“ wollen.
In der Bodenarbeit gehe ich meistens anfangs rückwärts vor dem Pferd her. Auch bei der Arbeit im Stand stehe ich meistens dem Pferd gegenüber. Bei den meisten Pferden wähle ich dazu meine Position mittig vor ihrer Nase, sodass meine Mittelachse und die Mittelachse des Pferdes übereinstimmen. Das tue ich, weil ich so besonders leicht wahrnehmen kann, wie die Balance des Pferdes sich verschiebt. Von hier aus kann ich auch am leichtesten wahrnehmen, ob das ganze Pferd auf einem Hufschlag unterwegs ist, oder ob ein Teil des Pferdes sich auf einem größeren oder kleineren Zirkel bewegt. Die erste Anforderung an mich lautet: bewege Dich so auf dem Zirkel, dass das Pferd die Möglichkeit hat, dir auf der gleichen Zirkellinie zu folgen.
Damit es gelingt
- halte ich die Longe in der äußeren Hand mittig vor meinen Bauch.
- lasse ich meine Zehenspitzen minimal aus dem Zirkel herauszeigen um sicher zu gehen, dass meine äußere Schulter etwas weiter hinten ist, als die innere
- gehe ich möglichst im gleichen Takt wie das Pferd.
- achte ich darauf beim Rückwärtsgehen mit beiden Beinen gleich große Schritte zu machen
- treibe ich einen Hinterfuß nicht vorwärts, ohne dem Pferd gleichzeitig vorne genug Raum zu geben, die Bewegung auch aus der Schulter herauszulassen
-
setze ich meine Gerte nach Möglichkeit nicht von vorne am äußeren Buggelenk ein, denn damit schubse ich das Gelenk leicht
ungewollt zurück. Wer immer wieder mit der Gerte die äußere Schulter "einfangen" muss, nachdem er den inneren Schenkel gezeigt hat, der sollte unbedingt das Hilfenverständnis für den inneren
Schenkel überprüfen.
Am Boden von vorne: langsam erklären, nicht zum Stehen zwingen
Grundsätzlich verstehe ich die Arbeit im Stand aber als einen Teil der Arbeit auf dem Zirkel. Der Unterschied besteht nur darin, dass sich die Füße nicht (so weit) bewegen. Bekomme ich im Stand Probleme, gehe ich immer wieder ein paar Schritte auf dem Zirkel nach vorne und setze neu an. Für viele liegt ein wesentliches Problem darin, wie sie ihr Pferd (durch-) parieren: Wer dem Pferd seine äußere Schulter entgegendreht um es anzuhalten, schiebt auch die äußere Schulter des Pferdes nach hinten, damit ist die Biegung „zerstört“.
Wenn ich versuche einem Pferd den inneren Schenkel in der Führposition von vorne (neu) zu erklären, dann arbeite ich häufig abwechselnd im Stand und in der Bewegung und mit dem Übergang vom Stand zur Bewegung. Dabei ist es häufig am einfachsten menschliche und pferdische Konzentration auf die klare Verständigung zu lenken.
Ich stelle mich also z.B. vor das Pferd und zeige einen inneren Schenkel. Meine Körpersprache lädt zur Gewichtsverlagerung nach vorne-innen in Zirkelrichtung ein. Macht das Pferd daraufhin in Biegung ein paar Schritte in meine Richtung und folgt mir auf dem gleichen Hufschlag, bin ich zufrieden. Verlagert es auch nur das Gewicht in meine Richtung, sodass die Nase zu meiner Mitteachse hin „sucht“, bin ich zufrieden, denn das Pferd hat sich als Reaktion auf den inneren Schenkel in Zirkelrichtung gebogen und gestreckt. Spüre ich dagegen, dass das Pferd dem inneren Schenkel nach außen ausweicht, suche ich nach der Ursache dafür: Stand meine äußere Schulter im Weg? Habe ich keinen Raum gegeben, damit das Pferd in meine Richtung kommen kann? Hat mein innerer Schenkel zu weit unten gekitzelt und dazu geführt dass der Brustkorb falschherum rotiert?
Wenn ich keinen Grund finden kann, warum das Pferd nach außen ausweichen muss, mache ich mich auf die Suche nach einem Weg, ihm zu vermitteln, dass ich etwas anderes möchte. Hier ist Kreativität und/oder kompetente Hilfe gefragt, ein allgemein gültiges Rezept gibt es nicht.
Reset – „nicht so, sondern so“
Viele Pferde reagieren in der Bodenarbeit korrekt auf den inneren Schenkel, wenn man ihnen körpersprachlich nur die Möglichkeit dazu
gibt. Diejenigen, die ihn gründlich falsch verstanden haben und bei denen allein eine verbesserte Körpersprache nicht ausreicht, um eine gute Hilfenreaktion auf den inneren Schenkel zu erzielen,
profitieren aber meistens von der folgenden Übung:
Ich gehe in der Führposition von vorne rückwärts auf einem Karree (Viereck). Ich setze den inneren Schenkel ein (während erste das äußere Vorderbein und dann das innere Hinterbein aktiv sind) und
biege im 90° Winkel nach innen ab. Wenn das Pferd mit wieder auf dem gleichen Hufschlag geradeaus folgt, setze ich wieder den inneren Schenkel ein und biege im 90° Winkel nach innen ab. Das Pferd
soll die Idee bekommen, dass der innere Schenkel anzeigt, dass es mit den Schulter nach innen abwenden soll, wodurch die äußere Schulter nach vorne kommt, der Brustkorb rotiert und der innere
Hinterfuß vermehrt untertritt. Vorübergehend kommt dabei u.U. eine Mehrbelastung auf die innere Schulter, dann kann man sich darauf konzentriere, auch diese weit genug nach innen in
Zirkelrichtung schwingen zu lassen, damit das Pferd seinen Brustkorb nicht darüber hinweg schiebt. Mit der Zeit wird aus dem Viereck, ein Sechs-, Acht- und Vieleck. Irgendwann schwingt auf dem
Zirkel jedes Vorderbein mit jedem Schritt frei um eine winzige „Ecke“.
Das "Lexikon der Akademischen Reitkunst" wird weitergeschrieben. Ein Arikel zu L wie Longe, feine Hilfen an der~ steht bereits online. Als nächstes folgt A wie Anlehnung. Über Feedback und Anregungen für weitere Themen freue ich mich. Viel Spaß beim Pony!
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Christine (Thursday, 25 October 2018 09:59)
Wow. Und wieder habe ich etwas verstanden. Ganz lieben Dank für deine Mühen dies für uns niederzuschreiben!
Mandy (Friday, 26 October 2018 08:09)
sehr gut und verständlich geschrieben, ich konnte mir die Übungen sehr gut vor Augen führen. Auch von mir Danke für deine Bemühungen!
Kati Siewerth (Saturday, 27 October 2018 21:31)
Sehr schön und kompakt zusammengefasst, danke, Kathrin!
Jansine (Tuesday, 15 January 2019 14:58)
Sehr präzise beschrieben. Ich war am Überlegen wie ich meinem Jungpferd die Dehnung an der Longe beibringen könnte (mein Reitpferd konnte es schon als ich es kaufte), jetzt habe ich die Grundlage dafür. Tausend Dank.
Katja (Friday, 12 June 2020 10:50)
Ganz toll erklärt! Danke! :)
Wunschthema: innerer und äußerer Zügel
Mares Mark (Tuesday, 16 February 2021 18:11)
Super! Danke für den Artikel.