Eine kleine Geschichte beschreibt, warum das Geheimnis des Lernens und Wachsens häufig in der Überwindung liegt.
Ich komme gerade aus Deutschland zurück, nachdem ich 10 Tage zum "Arbeiten" dort unterwegs war. Alle zwei Monate bin ich für 7-10 Tage am Stück dort, gebe Lehrgänge, unterrichte Wochenschüler auf
dem Fichtenhof in Mülheim-Saarn und gebe mobilen Unterricht.
Jedes Mal, wenn ich von zu Hause weg "muss", sträubt sich erstmal alles in mir. Ich lasse nicht gerne meine Pferde alleine, auch nicht, wenn ich sie gut betreut weiß. Der Tag, an dem ich fahre,
und die Tage davor sind schwer für mich. Dennoch habe ich gewählt meine Arbeit so zu strukturieren, obwohl ich nicht masochistisch veranlagt bin. Bin ich erst einmal unterwegs, ist es meistens,
als sei in mir ein Schalter umgelegt: Ich bin genau dort wo ich bin, gerne und mit ganzem Herzen. Ich bin raus aus aus meinen täglichen Routinen und stelle mich ganz auf die Menschen und Pferde
und Umstände ein, die mir begegnen. Diese zehn Tage sind für meine Entwicklung, mein eigenes Lernen, meine Reflexion ein großartiger Katalysator. Meistens komme ich mit vielen neuen
Erkenntnissen (ziemlich erschöpft) wieder nach Hause, sehe meine Pferde (mal wieder) mit ganz neuen Augen und freue mich wie eine Schneekönigin, endlich wieder etwas mit ihnen tun zu
können. Das tut gut!
Jedes Mal wenn ich wegfahre, reißt eine Kontinuität ab und ich entscheide, wenn ich zurückkomme, ob bzw. wie ich sie wieder aufnehme. Meine Zeiten der Abwesenheit zwingen mich innezuhalten und über meine alltäglichen Routinen nachzudenken, zumal ich ja auch unterwegs täglich genau solchen Routinen begegne und meine Schüler darin begleite, sie weiterzuentwickeln. Guten Unterricht zu geben bedeutet häufig: erreichen, dass eine Routine in Frage gestellt und verändert wird.
Als Reiter und Ausbilder unserer Pferde stecken wir häufig fest in unserem Bild von "richtig" gehenden Pferden, "richtiger" Hilfengebung, "richtiger" Ausbildung. Wir stellen Ansprüche an uns und
unser Pferd und sind irritiert, bzw. fühlen uns unter Druck, wenn wir oder unsere Pferde diese Ansprüche nicht erfüllen können. Sehe ich meine Schüler in einer Situation, in der er meine Hilfe
haben möchte, weil er nicht weiterweiß oder sich festgefahren fühlt, ist das eine Herausforderung für mich. Meine Aufgabe ist es, herauszufinden welche Routine ich in Frage stellen kann, welches
Muster aufgelöst werden will. Muster auflösen kann man, indem man völlig neue Wege ausprobiert, ohne Angst zu Scheitern. Ein anderes Wort dafür wäre: spielen. Ich spiele gerne mit
Perspektivwechseln. Es ist unglaublich, aus wie vielen Perspektiven man die Bewegungen eines Pferdes sehen und beschreiben kann. Ich spiele gerne mit Kommunikation. Es gibt unendlich viele
Nuancen zu entdecken, wenn man anfängt, seine eigene Kommunikation mit dem Pferd zu beobachten. Das schöne, wenn man dazu übergeht, Entwicklungsmöglichkeiten im Spiel zu finden, ist, dass man
Hindernisse, Schwierigkeiten, Blockaden, immer häufiger nicht mehr als solche, also als problematisch empfindet, sie machen das Spiel nur etwas spannender.
Wenn ich unterrichte, tue ich nichts anderes: ich spiele! Vor dem Hintergrund meiner eigenen Erfahrungen spiele ich gemeinsam mit Pferden und Menschen. Wir entdecken Sinne neu, finden gemeinsam neue Perspektiven, neue Wege in Kontakt zu kommen und zu kommunizieren. Und dieses "WIR", meine ich wirklich als "WIR". In diesen Prozessen lernt nicht nur der "Schüler".
Dieses Jahr habe ich, was meine Aufenthalte in Deutschland betrifft, etwas neues ausprobiert. In der ART-Seminarreihe (ART=Akademische Reitkunst im Team) unterrichte ich gemeinsam und abwechselnd mit Dörte Bialluch Vaz Pinto. Das macht das Spiel des Unterrichtens noch spannender für alle Beteiligten: mehr Perspektiven, mehr Nuancen, mehr Ideen, mehr Lösungsansätze. Für Dörte und mich war es da beinahe überraschend nach dem ersten Seminar zu hören, dass unsere gemeinsamen Schüler nicht verwirrt sondern mit klarem Kopf und inspiriert nach Hause fuhren um dort ihren Alltag wieder neu zu gestalten. Auch für mich hatte die Rückkehr nach Hause diesmal noch ein paar "Extra-Qualitäten". Ich war noch mehr aus dem Tritt gebracht als sonst, denn ich musste auch meine Routinen im Unterrichten ein Stück weit aufbrechen, und bin sehr glücklich darüber. Wachstum heißt Veränderung . Um so viel Veränderung zuzulassen, wie man braucht, um so viel zu wachsen, wie man gerne möchte, muss man sich aber manchmal überwinden, z.B. in dem man von zu Hause wegfährt. Die Rückkehr nach Hause ist dann umso schöner.
Welche Veränderung kostet Dich Überwindung? Wie unterbrichst Du Deinen Alltag, um neue Inspiration und neue Klarheit zu finden?
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Michelle (Wednesday, 04 April 2018 14:53)
Für mich ist es oft schwer aus der Wohlfühlzone raus zu treten. Man denkt sich ach, zu Hause ist es so kuschelig warm, ich kann rumgammeln ohne das es Jemanden interessiert und tun und lassen was man möchte. Allerdings ist es genau so toll am Abend mit Freunden raus zu gehen oder kleine Ausflüge im eigenen Land zu machen. Auch wenn diese nur paar Stunden dauern ists wie Ferien. Dies merk ich auch im Zusammenhang mit meinem Pferd. Oft ist man blockiert und denkt es geht nicht weiter. Wenn ich dann mal mit einem anderen Pferd nach der AR arbeite merke ich aber schnell, wie weit wir doch sind. Oder wie das Pferd auf das reagiert, was ich von ihm möchte. All diese kleinen Unterbrüche erfrischen den Kopf sehr.
Sonja (Thursday, 05 April 2018 20:50)
Routine bringt Sicherheit, Geborgenheit, Sorglosigkeit, Entspanntheit. Es ist wohl eine Frage der aktuellen Lebenssituation und der Grundeinstellung, ob und wie gerne man sich aus dieser Komfortsituation herausbegiebt. Dennoch ist es für die allgemeine, menschliche und berufliche Entlwicklung unumgänglich und wichtig aus diesem Bereich herauszuteten, nach Inspirationen Ausschau zu halten, neues auszuprobieren, fort zu gehen um sich weiterzubilden! Abstand gewinnen, um die Perspektive ändern und den Fokus neu setzen zu können, um nicht betriebsblind zu werden und den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen. Ich habe sowohl als Lehrer als auch als Schüler die Erfahrung gemacht, dass nach solchen "breaks" vieles in einem anderen Licht erscheint .... auch wenn es sich nur um Nuancen handelt. Berufsbedingt wird mein Alltag oft unterbrochen; ich suche aber auch gezielt nach Fortbildungsmöglichkeiten v.a. im Hobby bei der AR oder durch private Reisen. Beruhigend finde ich den Gedanken, dass durch gewonnene Lebenserfahrung der Ausbruch aus der Routine seinen "Schrecken" verliert und irgendwann nur noch das Positive durch diese Ausflüge bleibt oder zumindest überwiegt. Und wenn dann noch die Freude über die Rückkehr nach Hause bleibt, dann ist man doppelt glücklich und alles ist perfekt :-)